«Heute Vaterschaftsurlaub, morgen Elternzeit»

Den einen geht sie zu weit, den anderen zu wenig weit: Die Initiative für zwanzig Tage Vaterschaftsurlaub. Politik-Verantwortlicher von männer.ch und Mitglied des Kampagnenteams Daniel Bekcic erklärt, warum die Initianten dennoch an ihrer Forderung festhalten.

von Daniel Bekcic, Foto: Luca Bricciotti

Viele progressive Wähler_innen nehmen unsere Initiative für den Vaterschaftsurlaub als mutlos wahr. Nicht wenige von ihnen finden, das Volksbegehren schreibe mit nur zwanzig Tagen Auszeit sogar eine neue Ungleichbehandlung in die Verfassung. In der Tat scheint einfach: «Elternzeit» hört sich nach Gleichstellung an, besser noch: nach Geschlechterneutralität. Und sollen nicht beide Eltern grundsätzlich gleichbehandelt werden, wenn wir Chancengleichheit wollen? Man kann nur zustimmen, die Losung ist so simpel wie fair. Und trotzdem: Das arithmetische Argument greift zu kurz. Aus zwei Gründen.  Der eine ist politische Klugheit: Die Volksinitiative, die in einem Jahr an die Urne kommt, ist jetzt die stärkste Vorlage, die in absehbarer Zeit auch realisierbar ist, und sogar sie geht den Gegnern – Wirtschaftsverbänden, Rechtskonservativen – noch zu weit.

Bevor sich der Ständerat in die Sommerpause verabschiedet hat, hat er die Volksinitiative für zwanzig Tage Vaterschaftsurlaub dem Volk zur Ablehnung empfohlen. Darin war er nicht allein. Auch der Bundesrat sieht noch immer keinen gesetzgeberischen Bedarf. Er singt das alte Lied von der Wirtschaftsfreiheit und Freiwilligkeit – was als staatspolitische Konzession an die Sozialpartner und die direktdemokratischen Hürden angesehen werden kann. Oder aber als Geschichtsvergessenheit und Mutlosigkeit. Wie weit uns Freiwilligkeit in der Geschlechtergleichstellung gebracht hat, zeigt die leidige Geschichte der Lohnungleichheit, die so gesetzeswidrig wie unfair ist – und doch seit Jahrzehnten nicht korrigiert worden ist.

Neben dem Gebot politischer Klugheit spricht aber noch etwas für die Initiative: Der Vaterschaftsurlaub ist nämlich auch  die radikalere Lösung. Denn er benennt den Missstand präzise, an dem die Gleichstellung krankt: Es ist die «Unbeweglichkeit» der Väterjenseits ihrer Rolle des Ernährers und ihrAbseitsstehen in Erziehung, Betreuung und jeglicher Care-Arbeit. Den Chef nach einer Auszeit für die Familie fragen? Ein regelrechtes Tabu für eine Mehrheit der Väter in unserem Land. Sie sind es, die sich jetzt emanzipieren müssen: Der Vaterschaftsurlaub ist dazu besser geeignet als die Elternzeit, da er die Väter direkt anspricht, und in unser aller Köpfen den Vater zum gleichwertigen Elternteil jenseits des schädlichen und hartnäckigen Alleinernährermythos werden lässt. Es bedarf nicht viel Phantasie sich auszudenken, was passieren würde, wenn – dereinst – eine Elternzeit durchkäme, die ganz im Sinne vieler ihrer liberalen Verfechter keine unübertragbare Mindestzeit für den Vater vorsähe. Die Mütter würden getreu den traditionellen Rollenbildern das Mehr an Betreuungszeit beziehen und noch länger vom Arbeitsmarkt fernbleiben.

Das Anliegen für einen zwanzigtägigen Vaterschaftsurlaub geniesst – anders als die Elternzeit – beim Volk derzeit viel Unterstützung. Die Initiative könnte nun aber zum Opfer ihres eigenen Erfolgs werden. Nach über dreissig erfolglosen Vorstössen in den vergangenen Jahren bewegt sich das Parlament jetzt. Angeführt von einer Mitte-Links-Mehrheit im Ständerat und unter dem Eindruck der populären Initiative hat das Parlament dem Volksbegehren einen indirekten Gegenentwurf gegenübergestellt. Da er keine Änderung auf Verfassungsebene vorsieht, wird darüber – Referendum vorbehalten – nicht an der Urne abgestimmt werden. Es kommt also nicht zum Showdown mit der Volksinitiative. Wohl aber soll im Kalkül der Urheber dieser schmalbrüstige Gegenvorschlag die Initiative als extrem und für die Wirtschaft untragbar erscheinen lassen. Dass die Rechnung der bürgerlichen Mitte aufgeht und die Schweiz der Initiative in einem Jahr an der Urne eine Abfuhr erteilt, ist jedoch alles andere als sicher.

Im Nachgang zum feministischen Weckruf #metoo und im Zuge des erodierenden Vertrauens in eine «Politik der kleinen Schritte», scheint die Zeit für Strukturwandel auch in der Schweiz reif zu sein. Im Zuge der Klimabewegung und schon vor dem Frauenstreik liessen Wahlprognosen und Ergebnisse in Kantonalwahlen erwarten, dass im Herbst eine progressive Allianz gewählt werden könnte. Auch der Ruf nach einer Elternzeit wird dabei immer lauter – die links-grünen Parteien haben sie sich Parteiprogramm geschrieben und die SP Zürich hat bereits eine kantonale Volksinitiative für neun Monate Elternzeit lanciert. Für uns ist klar: Die progressiven Kräfte müssen jetzt mit einer Stimme sprechen. Die Losung muss sein: Heute für den Vaterschaftsurlaub kämpfen, damit morgen die Elternzeit zu echter Gleichstellung führen kann. Wir sehen es als unsere Aufgabe diese Botschaft in die Haushalte des Schweizer Stimmvolks zu tragen – und heute für den Vaterschaftsurlaub mobilisieren.

Dieser Kommentar erschien zuerst im ERNST #11, September 2018.

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