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Sie träumen schon wieder von harten Kerlen
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Im SPIEGEL-Artikel «Zu weich für die neue Wirklichkeit» schreibt Tobias Haberl, dass dem neuen Mann, der gepunktete Socken trägt und Biogemüse kauft, die nötige Härte fehlt, um sich in konfliktreichen Zeiten durchzusetzen und beispielsweise die eigene Familie zu verteidigen. Dieser Sehnsucht nach einem Wiedererstarken des «kriegerischen Archetyps» ist entschieden entgegenzutreten. Eine Replik.

Es war ja zu befürchten: Kaum tobt Krieg vor unserer Haustür, wird die Renaissance des starken Beschützer-Mannes ausgerufen. Immerhin wohnt dem SPIEGEL-Beitrag von Tobias Haberl eine gewisse Raffinesse inne, insofern nicht plump der Macho von gestern herbeigesehnt wird, sondern die zeitgemässe Synthese: Ein «Amalgam aus traditioneller und moderner Männlichkeit», so wie Robert Habeck oder Wolodymyr Selenskyj: «warmherzig und mutig» zugleich, «verständnisvoll und entschlossen», «traditionell und woke».

Ja, das klingt toll. Wer wollte schon etwas gegen Habeck und Selenskyj als männliche Rollenmodelle einwenden, diese zwei Machtmänner zum Liebhaben, bärenstark und trotzdem knuddelig. Ich jedenfalls nicht. Ich möchte aber laut und deutlich etwas einwenden gegen die diskursiven Kniffe, mit denen die Ausrufung dieser neuen Supermänner begründet wird.

So einfach ist es nicht

Es gibt eine Grundlage, auf die sich alle Fachleute der Geschlechterforschung und Männerarbeit verständigt haben: Männlichkeit bezeichnet als Begriff und Konzept die Gesamtheit der Anforderungen, die sich an Männer richten. Sie sind kulturell vermittelt, nicht gott- oder naturgegeben. Am männlichsten ist, wer diesen Männlichkeitsimperativen am meisten entspricht. Das ist jedoch eine unmögliche Mission. Bereits die traditionellen Männlichkeitsanforderungen – in jeder Lebenslage leistungsstark und souverän sein – waren unerreichbar. Ihre widersprüchliche Teilmodernisierung – in jeder Lebenslage leistungsstark und souverän bleiben, aber bitte gleichzeitig auch noch einfühlsam, sozialkompetent und männlichkeitsreflekiert sein – sind erst recht unerfüllbar. So mäandern viele Männer eher verwirrt als bestimmt durch die geschlechterpolitische Transformation und sind vor allem eins: orientierungslos ob all der Doppelbotschaften, die auf sie einprasseln. Denn so vehement die modernisierte Norm des entgifteten Mannes eingefordert wird, so hartnäckig halten die Institutionen –nicht nur in der Arbeitswelt – am Ideal des allzeit verfügbaren Superperformers fest.

Link zum Artikel: «Zu weich für die neue Wirklichkeit»

Tobias Haberl schreibt in seinem Gastbeitrag im SPIEGEL zum Thema Männlichkeit in Zeiten des Krieges, dass dem modernen Mann, die nötige Härte fehlt, die es braucht um in einer konfliktbelasteten Welt zu bestehen.

 Die Wirklichkeit bildet genau dieses normative Durcheinander ab: Zwar finden 83 Prozent aller Männer Gleichstellung eine gute Sache, aber nur 40 Prozent der anspruchsberechtigten Väter gehen in Elternzeit (und 80 Prozent von ihnen wählen die kürzestmögliche Bezugsdauer, während 92 Prozent der Frauen ihre Erwerbsarbeit zehn bis zwölf Monate unterbrechen…). Zwar finden 86 Prozent aller Männer in Deutschland, Gleichstellung sei wirtschaftlich vernünftig, aber nur 11 Prozent arbeiten Teilzeit. Zwar finden 51 Prozent der Männer in Deutschland, die unbezahlte Haus- und Familienarbeit müsse hälftig zwischen Väter und Müttern geteilt werden, aber nur 18 Prozent übernehmen tatsächlich ihre Hälfte. Die Lohnungleichheit in Deutschland liegt mit 21 Prozent deutlich über dem europäischen Schnitt. Der Männeranteil in der obersten Führungsetage deutscher Unternehmen liegt nach wie vor bei über 90 Prozent (Quelle für alle statistischen Angaben in diesem Abschnitt: BMFSFJ 2020[1]).

«Das Ideal des allzeitverfügbaren Superperformers hält sich hartnäckig»

Diese Zahlen sollen nicht die These vom modernen Mann bewirtschaften, der sich rhetorisch aufgeschlossen gibt, aber in seinem Verhalten starr und traditionell bleibt. Denn Männer erbringen durchaus schrittweise den ihnen möglichen Tatbeweis (69 Prozent der Väter in Deutschland beteiligen sich beispielsweise mehr an der Erziehung und Betreuung ihrer Kinder als die Väter ihrer Elterngeneration – und bewerten das auch als persönlichen Gewinn). Vielmehr belegen die widersprüchlichen Entwicklungen: Egalitäre Lebensgestaltung kann keine Frage individueller Wahlfreiheit sein, solange keine freie Wahl zwischen – gesellschaftlich und wirtschaftlich – gleichwertigen Alternativen besteht. Die Geschlechterforschung formuliert in dieser Situation die Zeitdiagnose einer «paradoxen Gleichzeitigkeit von Persistenz und Wandel». Sprich: Es ist kompliziert.

Unwissenschaftlich und unterkomplex

Das kümmert Tobias Eberl wenig. Weshalb sich mit Daten und Untersuchungen rumplagen, wenn der Blick aus dem Fenster doch eine prima empirische Basis hergibt? Der Autor ist also «umringt von Männern, die gepunktete Socken tragen und mit dem Kinderwagen joggen gehen» und hat deshalb genügend Anschauungsmaterial für die steile These, dass dieser «linksliberale», «urbane Mann, der mit dem E-Bike zum Bauernmarkt radelt, um eine Stange Bio-Lauch zu besorgen» dann eben selbst zu sehr zum Lauch geworden ist, als dass er seine Frau noch vor dem Feind schützen könnte. Tja, er hat halt «das Interesse am Jagen und Kämpfen verloren», weil die «männliche Streitkultur von einer weiblichen Wohlfühlkultur abgelöst» worden sei.

«Der Populisten-Trick: Er macht eine Entwicklung, die sich leise ankündigt, verantwortlich für die heutigen Zustände»

Das ist nicht nur unwissenschaftlich und unterkomplex argumentiert. Weshalb genau sollten Träger schwarzer Socken wehrhafter sein als Träger gepunkteter Socken? Die aus anekdotischen Beobachtungen zusammengezimmerte These ist aber auch grundsätzlich schief, da die Prämisse falsch ist. Damit die These aufginge, müsste der Autor halbwegs plausibel belegen, dass das Tragen gepunkteter Socken und die damit assoziierte «Wohlfühlkultur» heute das ausmacht, was die Geschlechtersoziologie «hegemoniale Männlichkeit» nennt. Er müsste also überprüfbar aufzeigen, dass sich das kulturell dominierende Männlichkeitsmuster, das zu erfüllen hat, wer nicht als «unmännlich» stigmatisiert werden will, um 180 Grad gewendet hat. Doch mit Verlaub: Gibt es in Westeuropa auch nur einen Mann, der nicht befördert oder gewählt wurde, weil er keine gepunkteten Socken trägt, kein E-Bike fährt, keinen Bio-Lauch kauft? Gibt es in ganz Westeuropa auch nur einen Jungen, der deswegen auf dem Schulhof gehänselt würde? Ich beschäftige mich seit zwei Jahrzehnten professionell mit Männer- und Männlichkeitsfragen, aber von einem solchen Fall habe ich noch nicht gehört. Dafür höre ich noch immer von genau gleich vielen Jungs wie eh und je, die auf dem Schulhof gehänselt werden, weil sie schwul sind oder sensibel, und ich höre noch immer von gleich vielen Männern wie eh und je, die in der beruflichen Sackgasse landen, nur weil sie sich alltagsnah um ihre Kinder kümmern.

Es zeigt sich: Der Autor nutzt einen klassischen Populisten-Trick. Er macht eine Entwicklung, die sich leise ankündigt, verantwortlich für die heutigen Zustände – und trägt damit dazu bei, dass das solcherart delegitimierte Zukunftsszenario gar nie eintreten wird. Die Brückenbau-Rhetorik entpuppt sich so als hohles Gerede, dessen primäre Funktion zu sein scheint, den reaktionären Kerngehalt der präsentierten Denkfiguren zu vernebeln.

«Solange Männer genügend Schiss vor ihrem individuellen Versagen haben, können sie sich nicht verbünden im gemeinsamen Kampf gegen ein patriarchales System.»

Das Patriarchat kann sich nur halten, solange Männer und nicht Männlichkeitsnormen als Wurzel des Übels gelten. Als besonders wirkungsvoll erweist sich dabei, Männer in einem permanenten Gefühl des Ungenügens zu halten, verbunden mit der Angst, ihre Defizite an «echter Männlichkeit» könnten auffliegen. Denn solange genügend Männer genügend Schiss vor ihrem individuellen Versagen haben, so lange können sie sich nicht verbünden im gemeinsamen Kampf gegen ein patriarchales System, das ihnen genauso schadet wie Frauen und Kindern und das diese Angst vor dem individuellen Ungenügen als Machtmittel kultiviert.

Ein Revival der autoritären Machtmänner? Nein Danke

Der SPIEGEL-Artikel ist in der Abwertung männlicher Vielfaltsbemühungen ein wunderbares Beispiel, wie pseudoemanzipatorische Reproduktion patriarchaler Macht funktioniert. Er redet Männern ein, ihre tastenden Versuche, die Männlichkeitskorsette ihrer Vorväter zu sprengen, seien schwächlich. Wer sich etwas mit männerrechtlerisch-antifeministischen Ideologien auseinandersetzt, weiss: «Schwächlich» ist die Chiffre für «weiblich». Das ist das bespielte Ressentiment: die heutigen Männer verweiblichen. Um Putin & Co. die Stirn zu bieten, brauchen wir wieder «echte Männer» (oder Frauen, die gelernt haben, sich wie solche zu verhalten).

Das ist eine perverse Umkehr der Sachlage: Autoritäre Machtmänner führen die Welt an den Abgrund eines dritten Weltkriegs. Ausbeuterische Männlichkeitsideologien führen den Planeten an den Abgrund der Klimakatrastrophe. Und der Weg aus dem Schlammassel soll das Revival der autoritären Machtmänner und der ausbeuterischen Männlichkeitsideologien sein – einfach in zeitgeistig-ausbalancierter frischer Verpackung? Das ist logisch etwa vergleichbar überzeugend wie die Forderung, wir sollten alle noch mehr Fleisch essen und Auto fahren, um den Klimawandel aufzuhalten.

«Die Sehnsucht nach einem Wiedererstarken des kriegerischen Archetyps wird ausgerechnet mit dem Überfall auf die Ukraine begründet.»

Männer zu kritisieren, ohne Männlichkeitsnormen und die damit verbundenen Herrschaftsverhältnisse zu reflektieren, ist kein Empowerment – egal wie inklusiv es daherkommen mag. Das ist eine subtile Form des altbekannten Wettstreits unter Männern im Kampf um Platz 1 im Männlichkeitsranking. Das stärkt Männer nicht, das verunsichert nur weiter.

Was wirklich heimtückisch und gefährlich an diesem Diskurs ist: Die Sehnsucht nach einem Wiedererstarken des «kriegerischen Archetyps» wird ausgerechnet mit dem Überfall auf die Ukraine begründet . Damit kriecht der Autor Putins Agenda voll auf den Leim. Denn was wünscht sich der wohl anderes als ein Westeuropa, in dem Machismus und Autoritarismus wieder salonfähig werden?

Dieser Beitrag wurde der SPIEGEL-Redaktion zur Veröffentlichung angeboten. Die Redaktion entschied sich jedoch, in diesem Fall auf eine Replik zu verzichten.

Programmleiter MenCare Schweiz und Gesamtleiter bei männer.ch | +41 79 238 85 12 | theunert@maenner.ch

Markus war 2005 bis 2015 Gründungspräsident von männer.ch. Seit 2016 ist er Gesamtleiter von männer.ch und in dieser Funktion auch Leiter des nationalen Programms MenCare Schweiz. Daneben ist er mit seiner Social Affairs GmbH als Organisations- und Strategieberater tätig. Er lebt mit seiner Familie in Zürich.

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