Wach bleiben und wachsen im Widerstand

Wach bleiben und wachsen im Widerstand

Reaktionäre Männlichkeit dominiert zunehmend die Weltpolitik. Was halten wir diesem Backlash entgegen?

Die Entwicklung in den USA und einigen autokratisch regierten Staaten stärkt eine Männlichkeitsideologie, die all das rückgängig machen will, wofür wir seit Jahren in der Bewegung für Geschlechtergerechtigkeit einstehen. Bereits leiden weltweit viele Menschen unter der patriarchalen Revolution von oben. Mit Kriegstreiberei und Kriegslogik wird versucht, mit Notstandsmassnahmen und Dekreten demokratische Mitbestimmung zu umgehen. Fundamentale ethische Werte und öffentliche Umgangsformen in den westlichen Demokratien sind gefährdet und nun auch die Stabilität der Weltwirtschaft.

Doch es gibt Hoffnung: der Widerstand gegen diese destruktive Politik von Autokraten, Oligarchen und Männerbünden wächst, auch bei uns. Wo sehen wir unseren Beitrag als progressiv Männerbewegte?
Ich schlage vor, auf den folgenden fünf strategischen Spuren weiterzudenken:

  1. Patriarchale Männlichkeit kritisieren und für Geschlechtergerechtigkeit einstehen
    In den letzten Jahrzehnten wurden im Feminismus und in der Männerforschung hilfreiche Theorien entwickelt, welche zum Verständnis der aktuellen Entwicklung viel beitragen. Die Machtzunahme autokratischer Politik ist keineswegs geschlechtsneutral. Ziel ist die Re-etablierung von patriarchalen Werten, Strukturen und Politikstilen in allen Bereichen der Gesellschaft. Deshalb sollten wir unser männlichkeitskritisches Know-how noch mehr in die öffentliche Debatte einbringen und mit Fakten und Argumenten aufzeigen, dass eine geschlechtergerechte Gesellschaft ein besseres Leben für alle verspricht.
  2. Solidarität mit allen, die jetzt schon unter dem Backlash leiden
    Wir Männer hier sind noch wenig direkt betroffen von den Folgen dieser maskulinistischen Politik. Einmal mehr sind es die bereits Marginalisierten, die es zuerst trifft: alle, die aufgrund ihrer Geschlechtsidentität diskriminiert werden, politisch Verfolgte und Gefangene, Menschen im Krieg oder auf der Flucht, Arme und Obdachlose. Ihnen gilt unser Mitgefühl und unsere Solidarität. Ihre Verletzlichkeit zeigt uns auch, wie wir alle verletzlich sind und verletzt werden durch patriarchale Gewalt. Das zunehmend illegale Handeln von Regierungen gegenüber den Schwächsten fordert uns zu neue Formen des Widerstands heraus.
  3. Gegen eine Kriegslogik, die soziale und ökologische Projekte verhindert
    Eine Gefahr ist nun, dass immer mehr finanzielle Mittel der öffentlichen Hand in die Aufrüstung fliessen und ohne viel Begründung versucht wird, bei sozialen und gleichstellungspolitischen Projekten, in der Entwicklungs- und Nothilfe und in der Friedensförderung zu sparen. Aus progressiv männlicher Sicht sollten wir weder ein einseitig militärisches Konzept von Sicherheitspolitik unterstützen, noch an einem absoluten Pazifismus festhalten. Eine klare Ausrichtung auf Frieden mit vielfältigen Strategien, welche auch die nötige Verteidigungsfähigkeit bejaht, sichert am ehesten auch die Ressourcen für konstruktive soziale und ökologische Projekte.
  4. Widerstand gegen den Abbau gleichstellungspolitischer Errungenschaften
    Ausgehend von der amerikanischen Regierung erleben wir den Versuch, das Rad der Entwicklung zu einer geschlechterdiversen und -gerechten Gesellschaft zurückzudrehen. Vieles, was uns in der westlichen Welt bereits als selbstverständlich galt, scheint nun gefährdet. Auch Männerbilder, die wir schon längst für überwunden hielten, drängen zurück. Bedrohung und Einschränkung von geschlechtersensiblem Engagement auf allen Ebenen der Gesellschaft gehört zur Strategie einer gewalttätigen Männlichkeit. Denn alles, was Stärke und Dominanz relativiert, muss bekämpft werden. In den kommenden Verteilungskämpfen werden wir zunehmend wach sein müssen, um auch gleichstellungspolitisch bereits Erreichtes zu verteidigen.
  5. Mehr Räume und Ressourcen für Männerbildung und Männerberatung
    Wofür wir uns in der Männer-, Väter- und Jungenarbeit schon seit Jahren einsetzen wird im geschlechterpolitischen Rückwärtstrend erst recht wichtig: wir brauchen mehr Räume für Lernprozesse zur Überwindung patriarchaler Männlichkeitsmuster. Es ist notwendig, dass es gerade für Männer und Väter der jüngeren Generationen Zentren mit kompetenten Fachpersonen gibt, in denen sie destruktiv-männliche Prägungen verlernen und konstruktive Lebensweisen einüben können. Denn Männer, die diesbezüglich bewusst und lernbereit sind, widerstehen in Krisenzeiten eher dem Ruf nach dem starken Mann und engagieren sich mit all denen, die das Patriarchat in seiner psychologischen und politischen Grundstruktur transformieren wollen.

Autor

Stabstelle Mentoring männer.ch
Christoph Walser ist Coach und Theologe, Gründungsmitglied von männer.ch und Co-Leiter der Fachgruppe «Männerarbeit im kirchlichen Kontext». Er ist seit über dreissig Jahren in den Bereichen Männerbildung und -beratung, Spiritualität und Prävention (timeout-statt-burnout) tätig und Vater von zwei Töchtern im Primarschulalter.

Lassen wir uns nicht einschüchtern. Bleiben wir nicht allein, mit dem was uns in der aktuellen Weltlage umtreibt. Tauschen wir uns aus. Nehmen wir die Entwicklung als Herausforderung an, um unsere männerpolitische Position zu aktualisieren und neue Widerstandsformen zu entwickeln. Bringen wir uns mit unserer männerspezifischen Sicht ein im Freundeskreis, in den Familien, in der Nachbarschaft, in der Gesellschaft – damit wir im Widerstand wachsen und wach dafür bleiben, wo und wie es unseren Beitrag in der kommenden Zeit braucht.

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