Wieso wir am 27. September JA zum Vaterschaftsurlaub stimmen müssen

 


Im September kommt es in der Schweiz zur historischen Vaterschaftsurlaubsabstimmung. Wieso die Minimallösung von zehn Tagen Vaterschaftsurlaub ein erster, wichtiger Schritt ist.

Von Valentin Kilchmann. Dieser Text erscheint in der September-Ausgabe des ERNST Magazins

Über dreissig parlamentarische Vorstösse gab es dazu in den vergangenen zwanzig Jahren. Alle blieben sie erfolglos. Ende September könnte es nun aber endlich so weit sein: Vaterschaftsurlaub in der Schweiz. Wenn man den letzten Umfragen Glauben schenkt, ist dies gar nicht so unwahrscheinlich: Ende Mai sagten immer noch 71 Prozent Ja dazu. Doch wie war das? Zehn Tage? Geschenkt, dass das kein Anlass für rauschende Feste ist. Im Vergleich zu anderen familienpolitisch fortschrittlicheren Ländern, in denen Elternzeit schon lange kein Fremdwort mehr darstellt, erst recht. Trotzdem haben wir Grund zur Annahme, dass diese zehn Tage bereits Wirkung zeigen werden. Doch holen wir zuerst etwas aus.

Der Grund, warum wir überhaupt darüber abstimmen müssen, ist, dass wir in einem Land leben, in dem reaktionären Kreisen selbst diese paar Tage zu viel sind. Zur Erinnerung: Die Zehn-Tage-Lösung war der Gegenvorschlag des Parlamentes zur Volksinitiative «Vaterschaftsurlaub jetzt!». Diese forderte zwanzig Tage, wurde aber letzten September zurückgezogen, so dass der Gesetzgeber den Gegenvorschlag rasch hätte umsetzen können. Schon seit dem Sommer dieses Jahres hätten so jährlich 80’000 frischgebackene Väter davon profitiert. Eine Fehleinschätzung – die erwähnten Kreise ergriffen das Referendum, mit dem Hauptargument, man wolle nicht immer höhere Abzüge für alle, um «Gratisferien» für wenige zu finanzieren. Ein schwaches Argument.

Erstens: Wer es mal mit Kinderbetreuung zu tun hatte, der oder dem dürfte klar sein, dass es sich dabei nicht um Ferien handelt. Zweitens: Es ist offensichtlich von allgemeinem Interesse, dass möglichst alle Kinder aus allen Milieus gesund ins Leben starten – und später nicht Kosten verursachen, sondern zu Wohlfahrt und Gemeinschaft beitragen können. Das Argument, alle würden bezahlen für die Privilegien einiger weniger, ist eine völlige Verdrehung der Tatsachen. Und drittens: Nein, zehn Tage Vaterschaftsurlaub sind nicht teuer! Die Umsetzung der Vorlage hätte eine Erhöhung im Rahmen der Erwerbsersatzordnung von 0.45 auf 0.5 Prozent zur Folge. Das bedeutet je 0,025 Prozent für Arbeitgebende und Arbeitnehmende. Also je 1.60 Franken pro Monat für eine arbeitende Person mit Schweizer Medianlohn von 6’500 Franken. Für 1.60 Franken kauft man sich in der Schweiz nicht mal ein Tramticket. So.

Schnell ist also klar, wie kleinlich die Abstimmungsdebatte überhaupt ist. Doch wieso sind nun, wie gesagt, die zehn Tage ein wichtiger Anfang? Zunächst einmal: Der Dachverband der Schweizer Männer- und Väterorganisationen männer.ch hat sich damals gegen den Rückzug der Initiative gestellt. Denn: Zwanzig Tage hatten Chancen durchzukommen und wären das Doppelte gewesen. Und doppelt so viel ist besser als halb so viel. Aber: Nun stehen wir vor einer anderen Entscheidung – zehn Tage sind besser als nichts. Wenn das Volk diese Vorlage jetzt ablehnt, dann wird man das nicht als progressives Nein deuten. Dann haben wir uns den Weg hin zu weitergehenden Lösungen erstmal verbaut. Und das für eine gute Weile. So viel ist klar. Aber abgesehen von diesem nicht gerade berauschenden Argument gibt es noch andere Gründe, warum wir diese Minimallösung von zehn Tagen annehmen sollten.

Ein grosser Pluspunkt: Die entschädigte Zeit ist für den Vater reserviert. Erfahrungen zeigen, wenn wir die Väter nicht direkt adressieren, überlassen sie die Familienarbeit tendenziell den Müttern. Respektive: Väter geben dann dem Druck nach, wieder im Job aktiv sein zu müssen. So wie in Deutschland, das seit zehn Jahren Elternzeit und Elterngeld kennt. Dort kann sich ein Elternpaar vierzehn Monate Elterngeld aufteilen, wobei ein Elternteil mindestens zwei, höchstens zwölf Monate nehmen kann. Zwei der vierzehn Monate verfallen also, wenn sie der andere Elternteil nicht in Anspruch nimmt. Die Zahlen sprechen für sich: Zwar gehen heute – nach Angaben des Statistischen Bundesamts aus dem Jahre 2017 – vier von zehn Vätern in Elternzeit. Aber achtzig Prozent beziehen nur das Minimum von zwei Monaten. Während über neunzig Prozent aller Mütter zehn bis zwölf Monate beziehen.

Die alte Norm des Alleinernährers wirkt also immer noch nach. Das Problem, wir kennen es: Die Väter bleiben direkt nach der Geburt im Erwerbsleben, treiben ihre Karriere vorwärts, erlangen so aber auch weniger Kompetenzen in der Kinderbetreuung. Ein Teilzeitpensum für Väter? In den meisten Branchen nicht vorgesehen. Die Mütter hingegen erleben Schwierigkeiten, im Job wiedereinzusteigen, haben schlechtere Karrierechancen, werden am Arbeitsmarkt diskriminiert, verdienen weniger. Die Dynamiken und Rollen verfestigen sich: Voilà, zu spät, die Traditionsfalle hat zugeschlagen, Gleichstellung und Egalität: on hold! Und das obwohl Untersuchungen zeigen, dass der Wunsch nach einem egalitären Beziehungsmodell vor Geburt des ersten Kindes eigentlich Common Sense ist.

Die Chance, dass sich frischgebackene Väter engagieren, erhöht sich also, wenn ein Teil für sie reserviert ist und bei Nichtbezug verfällt. Dann fühlen sie sich als Erziehungspersonen angesprochen. Doch die Vorlage, über die wir im September abstimmen, macht noch mehr richtig für die Gleichstellung. Erstens: Die Zeit um die Geburt ist entscheidend. Hier, bevor sich die Routine einschleicht, stellt die junge Familie die Weichen – entweder hin zur Retraditionalisierung oder zum egalitären Weg. Zweitens: Mit einem Lohnersatz von achtzig Prozent ist die Entschädigung zufriedenstellend. Dies ist ein weiterer Faktor, der laut Untersuchungen die Bereitschaft von Männern erhöht, die Zeit zu beziehen. Und schliesslich: Die Tage sind flexibel beziehbar, je nach Bedarf verteilt auf das erste halbe Jahr nach der Geburt. Das gibt einen hohen individuellen Spielraum, um die Tage dann zu nehmen, wann sie am meisten Sinn machen und ist somit attraktiv für viele Männer. Und es ist erst noch arbeitgeberfreundlich.

So weit so gut, und was macht jetzt die zehn Tage darüber hinaus so vielversprechend? Die Antwort ist so banal wie einleuchtend: Der Vaterschaftsurlaub von zehn Tagen ist einfach zu kurz, um ihn nicht zu nehmen. Deutschland zeigt: Das Angebot eines Vaterschaftsurlaubs allein reicht nicht, damit Männer tatsächlich davon Gebrauch machen. Doch wie wir gesehen haben, greift die Unterstellung zu kurz, es sei ihnen gar nicht richtig ernst mit der involvierten Vaterschaft. Denn: Es fehlt nicht einfach an Wunsch und Wille der einzelnen Väter, sondern auch an der Akzeptanz von Arbeitgebern und Gesellschaft. Wenn dann auch der Chef in Papizeit geht, trauen sich viel mehr Arbeitnehmer, seinem Modell zu folgen. Oder allgemein gesagt: Je normaler es ist, dass Väter Vaterschaftsurlaub nehmen, umso selbstverständlicher tun sie es auch. Und da sind zehn Tage so niederschwellig, dass sich der Bezug des Vaterschaftsurlaubes als Normalität etablieren dürfte. Was danach kommt: wir werden sehen.

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