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MenEngage: Globales Symposium in Delhi

männer.ch-Präsident Markus Theunert hat vom 10. bis 13. November 2014 am MenEngage Global Symposium in Delhi (Indien) teilgenommen. männer.ch ist seit letztem Jahr Mitglied in diesem internationalen Netzwerk. Ein Reisebericht. 

Wuchtig ragt das India Habitat Center in den dunstigen Himmel von New Delhi. In langen Schlangen warten die ersten der 1’200 Delegierten aus 94 Ländern des MenEngage Global Symposiums auf ihre Registrierung. Die Blicke sind vorsichtig neugierig, zuweilen durchbrechen Szenen freudigen Wiedersehens die verhaltene Stimmung. Frauen und Männer sind etwa ähnlich zahlreich vertreten, Weisse deutlich in der Minderheit.

Auf einem überlebensgrossen Poster beim Eingang steht:
Men of Quality are not afraid of Equality.
Not Man before Woman: Everybody is Human.
Men are Partners, not Lords and Masters.

Ich wundere mich, dass das in diesem Kreis nicht einfach als selbstverständlich vorausgesetzt werden kann, ist MenEngage doch ein globales Netzwerk von über 600 Organisationen, welche Beiträge von Jungen und Männern zur Geschlechtergerechtigkeit fördern. Die Gründung erfolgte im Zuge der New Yorker Konferenz der UN Women im Jahr 2002. Seither wächst das Netzwerk rasant. Am zweiten Global Symposium in Delhi 2014 sind bereits drei Mal mehr Teilnehmende dabei als noch vor fünf Jahren beim ersten Symposium in Rio de Janeiro. Die Leitung des Netzwerks teilen sich Gary Barker von der brasilianisch-amerikanischen Organisation Promundo und Dean Peacock von der südafrikanischen Organisation Sonke.

Die Konferenz beginnt für mich noch vor der offiziellen Eröffnung mit einer «Satellite Session» zum Thema MenCare. Unter diesem Titel läuft eine internationale Kampagne zur Stärkung alltagsnaher Väterlichkeit, die männer.ch möglicherweise ab 2015 auch in die Schweiz bringen kann. Warum es das braucht? Adrienne Burgess, Direktorin des britischen Fatherhood Institutes, bringt den Stand der Forschung auf den Punkt: «When fathers do more, children do better, mothers earn more, fathers are healthier and relationships are more stable».

Erst im Lauf des Tages realisiere ich: männer.ch als progressive Männerorganisation ist ziemlich exotisch. Die meisten Mitgliederorganisationen sind Fachstellen und Frauenorganisationen, welche mit der Zielgruppe der Buben, Männer und Väter arbeiten. Unsere Verwurzelung in der Männerbewegung teilen die Wenigsten. Diese unterschiedlichen Hintergründe machen sich stark bemerkbar. Anwaltschaftlichkeit für männliche Lebenslagen und –perspektiven wird in diesem Kreis eher argwöhnisch wahrgenommen. Die Angst vor einer «männlichen Resouveränisierung» ist ständig spürbar, ein latentes Misstrauen gegenüber allem Männlichen. Alle Exponenten und Exponentinnen bemühen sich denn auch bei jeder Gelegenheit zu unterstreichen, dass MenEngage keinerlei männerrechtlerische Schlagseite hat. Programmatisch erklären die «core principles» von MenEngage: «The Alliance believes that men, ALONG WITH WOMEN, should be engaged in achieving gender equality and in advancing the rights, health and well-being of women and girls.»

Auf dem Podium der Eröffnungsveranstaltung sitzen zwei Männer und sechs Frauen unter einem riesigen Plakat «Men and Boys for Gender Equality». Phumzile Mlambo-Ngcuka, Direktorin der UN Women eröffnet, gefolgt von der Kate Gilmore, Direktorin der UNFPA, gefolgt von Laskshmi Puri, stellvertretende UN-Generalsekretärin, gefolgt von der indischen Frauenministerin. Der Tenor ist immer derselbe: Frauen und Mädchen sind Opfer des Patriarchats, und das kann nur beendet werden, wenn sich Männer für Frauen und Mädchen wehren. Die UN-Kampagne «HeForShe» bringt den Appell-Charakter dieses «ritter­lichen» Ansatzes wunderbar auf den Punkt.

Die indische Frauenministerin geht als einzige überhaupt auf männliche Anliegen ein und bedauert, dass diese als «Opfer» traditioneller Männlichkeit um das «Vergnügen» emotionalen Erlebens in der ganzen Bandbreite der Menschlichkeit gebracht werden. Der Schauspieler Rahul Bose gibt dann gleich wieder den Tarif durch: «Es geht nicht einfach darum, dass sich Männer engagieren. Es geht darum, dass sie sich für das Richtige engagieren.» Und was das Richtige ist, wissen hier alle genau: Was Frauen und Mädchen wollen/brauchen.

Ich wundere mich einmal mehr, wie sehr diese offizielle Optik in ganz traditionellen Geschlechtermustern stecken bleibt: Frauen sind Opfer, Männer Täter oder Ritter. Von Gleichwertigkeit ist verbal zu hören, aber wenig zu spüren. Die Macht der Strukturen wird ungern angeschaut, die weibliche Definitionsmacht in der Geschlechterpolitik fast vollständig ausgeblendet.

Mission «triple advocacy»

Ja, auch der Vorstand von männer.ch war anfangs irritiert, dass Männeremanzipation in dieser Perspektive nicht um der Männer selbst willen per se wichtig ist, sondern primär die Lebens­qualität von Frauen und Mädchen verbessern soll. Im internationalen Kontext wird das verständ­licher. Es gibt nun mal viele Gesellschaften, in denen Grundwerte, die in Westeuropa zumindest seit einigen Jahrzehnten feste Verankerung gefunden haben – eben: Männer sind nicht Herrscher, sondern Partner – keineswegs akzeptiert. Beispielsweise in unserem Gastland Indien. Wenn der Delegierte aus Afghanistan sagt, «In my country, there is no justice for anybody, especially not for women», wird es für mich jedenfalls schwierig, mangelnde Männersolidarität zu beklagen…

Der Vorstand von männer.ch hat sich gleichwohl für eine Mitgliedschaft entschieden. Erstens, weil das gemeinsame Ziel – Geschlechtergerechtigkeit – aus unserer Sicht stärker wiegt als unterschiedliche Auffassungen darüber, wie dieses Ziel erreichbar wird. Zweitens, weil es aus unserer Sicht nicht sein kann, dass männer.ch mit seiner dialogischen und brückenbauenden Programmatik plötzlich in den Dunstkreis antifeministischer und männerrechtlerischer Initiativen gerückt wird. Wir engagieren uns dafür, die Gleichwertigkeit der Geschlechter als Grundwert zu verankern statt aus dem Feminismus ein Glaubensdogma zu machen. Für uns ist Feminismus dabei nicht mehr und nicht weniger als ein wichtiges, meist hilfreiches, sicher historisch verdienstvolles und gleichwohl immer wieder auch kritisch zu hinterfragendes politisches Konzept. Die Perspektive in der Geschlechterpolitik sehen wir ganz ähnlich wie in einer Partnerschaft: Aller historischen Ungleichzeitigkeiten zum Trotz kann Gleichwertigkeit nur gelebt werden, wenn beide Partner eigenständig sind und die Stärke haben, dem Gegenüber auch kritisch und herausfordernd zu begegnen. Eine Partnerschaft aber, in der einer die Rolle des Juniorpartners hat, erfüllt aus unserer Sicht die Anforderung an eine egalitäre Partnerschaft nicht.

Meine Mission in Delhi ist denn auch, unser männer.ch-Konzept der «triple advocacy» bekannt zu machen und so aufzuzeigen, dass es sehr wohl möglich ist, gleichzeitig für Buben-, Männer- und Väteranliegen einzutreten und solidarisch mit Frauenanliegen zu sein und für eine Gleich­wertigkeit aller Geschlechter zu kämpfen. So entscheide ich mich am zweiten Tag, mein Engagement auf die Mitarbeit in der Redaktionsgruppe der «Delhi Declaration» zu fokussieren, welche am Ende des Symposiums verabschiedet werden und seine Kernbotschaften in die Welt hinaus tragen soll.

Die Arbeiten an diesem «Call for Action» laufen schon seit einigen Wochen. Jetzt beginnt bereits der Feinschliff. Ich habe Glück: Alle Mitglieder der Gruppe sind von den vorangegangenen Diskus­sionen etwas erschöpft und nehmen dankbar mein Angebot an, zusammen mit Brian eine verdichtete Diskussionsgrundlage zu erstellen. Die Deutlichkeit, in der wir das Patriarchat frontal infrage stellen, gefällt mir. Und doch gibt es immer wieder Diskussionen, deren Verlauf ich nicht verstehen kann.

Ein Beispiel: Ein zentraler Satz in der Declaration heisst «It is essential that we live the values of gender justice in our own personal and professional lives». Da kann man(n) wenig einwenden. Besonders attraktiv scheint mir der Appell trotzdem nicht zu sein. Also engagiere ich mich für eine Erweiterung. In unserer neuen Version heisst es nun: «It is essential that each of us live the values of gender justice. This requires men and boys to reflect on their own privilege and power – and to develop a personal vision of how to live as an emancipated man.» Doch das geht nun bereits verschiedenen Gruppen­mitgliedern zu weit. Am Ende heisst der Satz: «It is essential that each of us live the values of gender justice. This requires men and boys in particular to reflect critically on their own power and privilege, and to develop personal visions of how to be gender-just men.» Damit kann ich leben. Aber es ist nicht das Gleiche wie die beherzte Aufforderung zur Männeremanzipation. Freude habe ich, dass bis am Schluss immerhin eine subtile Kritik an unreflektierter Definitionsmacht im Gleichstellungsbereich erhalten bleibt: «We seek to make visible the most effective ways men and boys can contribute to gender equality, without being used as mere instruments.»[1]

Geheimnisvolle Mitgliederversammlung

Vier Tage lang dauert das Symposium. Am Abend vor der Schlussveranstaltung treffe ich Tatiana Moura, Direktorin von Promundo Brasil. Sie fragt mich beiläufig, ob ich am nächsten Tag auch noch zur Generalversammlung von MenEngage komme. Ich wundere mich ein weiteres Mal. 42 Mails mit Veranstaltungshinweisen und Aufrufen habe ich vom Organisationskomitee des Symposiums erhalten. Die Generalversammlung wurde kein einziges Mal erwähnt. Das stösst jedoch nicht nur mir sauer auf. Nachdem ich mich an der Versammlung für mehr Demokratie und Transparenz innerhalb von MenEngage stark gemacht habe, erhalte ich Applaus. Wie schon zwei Tage zuvor, als ich an einer Plenumsveranstaltung anmahnte, nicht jeden «angry white man» zum Antifeministen zu stempeln, kommen etliche Delegierte auf mich zu und danken für den couragierten Positionsbezug. Das freut mich doch sehr und hilft mir, mich mit all meinen gemischten Gefühlen weniger einsam zu fühlen. Das heitert auch meine Gesamtbilanz auf:

Ich habe in dieser Woche natürlich viele schöne Begegnungen erleben und Gespräche führen können, sowohl mit «einfachen» Aktivisten wie auch mit «Prominenten» wie beispielsweise dem amerikanischen Soziologen Michael Kimmel, die ich bisher nur aus Büchern kannte. Diese Verbundenheit für ein Thema und ein Anliegen mit Menschen aus allen Kontinenten, gibt mir Kraft.

Ich habe in dieser Woche einiges Neues gelernt, Impulse und Inspiration mitgenommen – und auch Impulse und Erfahrungen aus 10 Jahren männerpolitischer Erfahrung einbringen können. Die Arbeit von männer.ch zeigt, dass Solidarität und Anwaltschaftlichkeit keine Widersprüche sein müssen. Diese Erfahrungen und Konzepte weitergeben zu können, gibt mir ein schönes Gefühl von Generativität und einer gewissen Seniorität.

Ich habe in dieser Woche bestätigt sehen müssen: Der geschlechterpolitische Diskurs in Westeuropa steht schon an einem sehr anderen Punkt als in den meisten anderen Regionen der Welt. Wir haben uns weitgehend von den einfachen Schablonen – Männer sind Profiteure, Frauen Opfer des Patriarchats – lösen können. Es geht nicht mehr um Erbschuld, sondern um Verantwortung. Davon sind wir in diesem globalen Diskurs noch sehr weit entfernt. Diese Ungleichzeitigkeit der Entwicklungen macht mir Sorgen – aber sie macht mich auch ein bisschen stolz, weil wir in der Schweiz doch zumindest einen kleinen Anteil an diesen Fortschritten unserer Arbeit zuschreiben dürfen.

Markus Theunert, Präsident männer.ch