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«ERNST ruht» Das Abschiedsinterview

Das Magazin ERNST – die frühere «Männerzeitung» – ist im Dezember 2022 zum letzten Mal erschienen. Wir werfen mit den ERNST-Machern Ivo Knill und Adrian Soller einen Blick zurück – und einen Blick nach vorn.

«ERNST ruht – wir schreiben weiter». Mit diesen Zeilen habt ihr euch von eurer Leserschaft verabschiedet. Oder eben nicht. Was ist denn nun Sache? Ist der ERNST Geschichte – oder nimmt er sich bloss ein Sabbatical?

Ivo Knill: Das gedruckte Magazin ERNST ist in jeder ökonomischen Betrachtung Geschichte. Die Motivation war da, nochmals in ein Jahr zu gehen. Am Schreibdrang hat es sicher nicht gefehlt. Aber eben an der Finanzierung. Trotzdem gilt: «Wir schreiben weiter». Was das heisst, wird sich zeigen. Lesungen sind eine Möglichkeit. Eine kühne Idee ist die «edition ERNST». Das heisst, ein Verlag zu werden für längere journalistische Texte, für Kurzgeschichten oder besondere Bücher. Publizistisch hatten wir ja im ERNST schon immer ein breites Spektrum. Aus diesem Fundus könnten wir weiter schöpfen. Wir haben doch sehr viele ermutigende Rückmeldungen erhalten. Auch für den Newsletter haben sich viele Menschen angemeldet. Es kann also durchaus sein, dass die eine oder andere Perle unseres Schreibens in einer «edition ERNST» erscheinen wird…

Adrian Soller: Wir haben bereits finanziellel Mittel erhalten für Lesungen in Winterthur. Das ist eine ganz konkrete Spur. Gender-Themen stehen da nicht explizit im Fokus, werden aber immer wieder berührt.

Ivo: Unter dem Titel «ERNST liest weiter» haben wir bereits eine zweite Veranstaltung geplant. Wir suchen auch Möglichkeiten für Auftritte mit unserem Schreiben.

Ivo Knill

Adrian Soller

Nach den Jahren als «Männerzeitung» hat die Redaktion einen neuen Auftritt gewagt: Zuerst als ERNST mit dem Untertitel «das Gesellschaftsmagazin für den Mann». Dieser Untertitel ist dann mit der Zeit weggefallen. Im Rückblick: Habt ihr zu lange am Männerprofil festgehalten – oder es zu schnell aufgegeben?

Ivo: Von der Auflage her hatten wir die beste Zeit zwischen 2003 und 2007. Da waren Geschlechterthemen gesellschaftlich, politisch und im Heft sehr präsent. In diesen Diskursen haben wir viel geprägt und auch etwas bewirkt – beispielsweise in der Teilzeit-Debatte. Das war eine erfolgreiche Zeit – und unser Ansatz noch unverbraucht. Die ganze Geschlechter- und Emanzipationsthematik ist mit der Zeit enger geworden. Wir wollten da raus. Ich finde: Wir haben es mit dem ERNST geschafft, Geschlechterfragen verbunden zu bleiben, ohne sie aus reiner Männerperspektive zu reflektieren.

Geschlechterfragen inhaltlich zu thematisieren ist aber etwas Anderes, als eine männlichkeitskritische Perspektive einzunehmen…

Adrian: Der Auftritt und die Öffnung als ERNST waren lebensverlängernde Massnahmen. Als «Männerzeitung» wäre es früher nicht mehr gegangen. Wir wollten die verschiedenen Perspektiven verbinden und die Frage nach einem sinnvollen Lebensentwurf in den Vordergrund stellen. Das war für uns eine schöne, undogmatische Richtung. Die hat uns viel Spielfreiheit gegeben. Und die Frage nach Lebensentwürfen ist einladend – auch für Männer.

Ivo: Es ist eine Riesenleistung, zwanzig Jahre am Markt zu bleiben, vier Mal im Jahr selbstfinanziert zu erscheinen – ohne Verlag oder Geld im Rücken. Irgendwann waren wir nicht mehr bereit, diesen Effort zu leisten. Ich persönlich bin freudig und voller Stolz für das, was wir erreicht haben.

Gibt es denn einen Zeitschriftenmarkt für emanzipierte Männer resp. Männlichkeit – also jenseits von Lifestyle?

Ivo: Der ERNST war immer ein Kulturprojekt, kein kommerzielles Produkt. Als Kulturprojekt sehe ich nicht, was wir anders hätten machen können. Vielleicht könnte ein kommerzielles Projekt funktionieren, aber das hat uns nie interessiert.

Adrian: Gewisse Themen – Teilzeit, Vaterschaft – wären kommerzialisierbar. Wenn man es breiter und weniger klischeehaft machen will, wird es aber schwierig mit dem Geldverdienen.

«Der ERNST war eine permanente Erweiterung meines Lebens.»

Was ist für euch die frustrierendste Erkenntnis?

Ivo: Dass Adrian keine Geldmaschine ist (lacht). Nein… Frustrierend ist, dass man mit unendlichem Idealismus nicht hinkommt, wenn niemand Klinken putzt und Geld organisiert. Leidenschaft allein reicht offenbar nicht. Politisch ist die frustrierende Erkenntnis, wie extrem viel einfach nicht passiert. Geschlechterrollen greifen bei der Familiengründung. Jedes Mal wenn ich meine Kinder sehe, die unter beruflichen Mehrfachbelastungen und hohen Krippenkosten ächzen, ärgere ich mich. Diese Rahmenbedingungen zementieren die traditionellen Rollenbilder.

Adrian: Mein Frust ist wirklich auf einem tiefen Level. Es war eine Entscheidung, den ERNST als Magazin loszulassen. Ich wusste, wie viel Aufwand ich für eine stabilere ökonomische Perspektive hätte leisten müssen. Das wollte ich nicht (mehr). Es war der Zeitpunkt zum Loslassen. Das stimmt so. Ich ging nie mit der Erwartung dran, dass sich das «rentiert». Wenn ich diese Erwartung gehabt hätte, wäre ich gefrustet.

Und das berührendste Erlebnis?

Ivo: Die Arbeit am ERNST war in vielen Punkten berührend: zwischenmenschlich, in der Zusammenarbeit, im ganzen Redaktionsteam… das war immer sehr belebend. Jede Nummer war ein kleines Meisterwerk der Improvisation. Man hat sich gebalgt, gestritten, nach Meinungen gesucht. Wir waren in Istanbul, in Stockholm. Fast jedes Interview hat mich persönlich weitergebracht. Nach jeder Nummer hatten wir das Gefühl: Das ist jetzt die Beste bisher. Der ERNST war eine permanente Erweiterung meines Lebens.

Adrian: Jeder Artikel ist aus einer Lust am Thema, an der Erkenntnis, am Lernen entstanden. Zum Beispiel der Artikel über den Pferdemetzger: Ich bin mit dem Bild ins Interview gegangen, jetzt den grossen Schlächter zu treffen. Und dann sitzt du einem empathischen Mann gegenüber, der die Pferde auf ihrem letzten Weg begleitet. Das war immer wieder so: Nach dem dritten Warum findet man plötzlich eine andere Perspektive. Das lässt mich anders auf Menschen zugehen…diese Verbindung mit ganz verschiedenen Leuten und Lebenswelten.

Alle ERNST Nummern zum Nachlesen findest du hier.

Programmleiter MenCare Schweiz und Gesamtleiter bei männer.ch | +41 79 238 85 12 | theunert@maenner.ch

Markus war 2005 bis 2015 Gründungspräsident von männer.ch. Seit 2016 ist er Gesamtleiter von männer.ch und in dieser Funktion auch Leiter des nationalen Programms MenCare Schweiz. Daneben ist er mit seiner Social Affairs GmbH als Organisations- und Strategieberater tätig. Er lebt mit seiner Familie in Zürich.

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