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Mit Geschlechtern spielen im Stapferhaus

Die Ausstellung «Geschlecht. Jetzt entdecken» im Stapferhaus beleuchtet das heiss diskutierte Thema von verschiedensten Seiten. Es gelingt ihr, zum Nachdenken und Reden über die eigene Geschlechtsidentität anzuregen und setzt Menschen, Erlebnisse und Geschichten in den Fokus. Die Ausstellung läuft noch bis zum 22. Mai.

Wir sitzen auf einer kreisförmigen Bank in einem Raum mit einer 360°-Videoprojektion. Was wir sehen: Chromosomen, Geschlechtsorgane und Hormone, die bestimmen, wie das körperliche Geschlecht ausgeprägt wird. Und schon hier beginnt die Vielfalt. Im Embryo sind Anlagen für männliche und weibliche Geschlechtsorgane vorhanden. Hoden produzieren auch Östrogen, Eierstöcke auch Testosteron. Die Spiegel der Geschlechtshormone schwanken über die Lebensphasen hinweg und werden auch vom Verhalten beeinflusst. Diese rundum projizierte Vielfalt wird zum Schluss in zwei Richtungen gesogen und fliesst auf zwei Türen zu. Eine in rosa, eine in blau – weiblich, männlich. Die einzigen zwei Türen, die in unserer Gesellschaft bei Geburt offenstehen. Willkommen in der Binarität!

Das ganze Genderding

In Gesprächen mit Männern, aber auch in Zeitungskommentaren oder Fernsehsendungen, begegnet mir immer wieder dieselbe Aussage:

«OK, es gibt jetzt neuerdings ganz viele Geschlechter, LGBTQIA* etc. Find ich ja super. Aber ich fühle mich als Mann, habe XY-Chromosom, Bartwuchs und einen Penis. Ich bin also einfach ein ganz normaler Mann. Mich interessiert das ganze Genderding nicht.»

Ich wünsche mir, dass möglichst viele Personen, die so denken, die Ausstellung im Stapferhaus durch die rosa oder die blaue Tür betreten. Kaum jemand wird danach noch behaupten können, dass die Kategorie Geschlecht ihn nicht betrifft. Bereits im Hauptraum wird der Druck, mit dem die Geschlechterordnung über Jahrhunderte aufrechterhalten wurde, richtiggehend spürbar.

Spielerische Zugänge

Leichter wird es in den verschiedenen angrenzenden Räumen, wo auf spielerische Art aufgezeigt wird, wie das Geschlecht – oder vielmehr die verinnerlichten Anforderungen der Gesellschaft, sich gemäss einer Geschlechternorm zu verhalten – uns beeinflusst. Wir sehen uns millionenfach angeklickte Instagramvideos an, in denen Influencer*innen erklären, wie man sich als richtige Lady hinsetzt, oder wie man den selbstbewussten Gang eines echten Kerls erlernt. Wir stehen zwischen Säulen, welche die statistisch gemessenen Unterschiede zwischen Mann und Frau erlebbar machen. Wir hören uns an Telefonen, die von der Decke hängen, Tipps zum Thema Sex und Geschlecht an. Wir lackieren uns die Nägel und staksen mit Highheels in Grösse 43 ungelenk über einen Laufsteg.

Wenn die Schablone nicht passt

Am berührendsten waren für mich aber die Videoportraits im Raum «Geschlechterleben». Menschen, die ihre ganz persönliche Geschichte erzählen. Sie lassen uns daran teilhaben, wie ihre Geschlechtsidentität und die Welt, in die hinein sie geboren wurden, ihr Leben beeinflussen. Die Geschichte von Audrey Aegerter hat sich mir besonders eingeprägt. Als intergeschlechtliche Person mit XY-Chromosom bei ihrer Geburt als Mädchen zugeordnet (rosa Tür), wurde sie in ihrer Kindheit mehrfach operiert, obwohl dazu keinerlei gesundheitliche Notwendigkeit bestand. «Die vielen Operationen waren dazu da, dass ich die sozialen, medizinischen, patriarchalen Kriterien eines funktionierenden Frauenkörpers erfülle», sagt sie, während ihr Blick die Kamera fixiert. Sie erzählt auch, wie eine Ärztin sie fragte, ob ihre Schwester einen Test machen wolle, um herauszufinden, ob in der Familie eine vererbbare Variation der Intergeschlechtlichkeit vorliege. Warum? Damit diese im Falle einer Schwangerschaft die richtige Entscheidung treffen könne – abtreiben. Spätestens hier wird klar, welches Gewaltpotenzial darin liegt, reale Vielfalt durch eine binäre Schablone zu pressen.

Weiterreden

Die Ausstellung belehrt kaum, bietet aber enorm viel Gesprächsstoff. Darüber, warum man ist, wie man ist, sich hinsetzt oder geht, wie man es tut und an jedem einzelnen Tag betroffen ist, von dem Genderding, ob man sich dafür interessiert oder nicht. Und darüber, dass es das Privileg derjenigen ist, die der Norm entsprechen, sich einfach nicht dafür interessieren zu können. Stimmig ist darum, dass die Ausstellung in einem Raum mit lauschigen Nischen endet, die mit klugen Fragen zum Gespräch einladen. Wir sind länger sitzen geblieben.

Thomas Neumeyer ist seit Februar 2022 Leiter Betrieb und Kommunikation bei männer.ch

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